Was da los ist? – Demokratie.
28. Juni 2021
Vor einigen Wochen flatterte uns das „Grünzeug“ in die Briefkästen, die Veröffentlichung der Pulheimer Grünen. Was dort auf der ersten Seite unter der Überschrift „Was ist denn da los?“ zu lesen war, verdient eine Antwort.
Ein kritischer Kommentar von Dr. Marc Saturra
Worum geht es in dem „Grünzeug“-Artikel? – Der Verfasser Wolf Keßler kritisiert, dass sich fünf Ratsmitglieder von der SPD-Fraktion losgesagt und mit „Wir für Pulheim“ (WfP) eine eigene Fraktion gegründet haben. Das entspräche nicht dem Wählerwillen, weil das den vermeintlichen Block aus Grünen, SPD, BVP und Linken schmälere, den die Wählerinnen und Wähler so als „progressiven Kurs“ gewollt hätten. Herr Keßler übersieht, dass dieser Block so gar nicht zur Wahl angetreten war. Vielmehr treten Kandidatinnen und Kandidaten von Parteien und Wählervereinigungen bekanntlich als Personen und nicht als Wählerblock oder Koalition an. Zudem konnte vor der Wahl niemand wissen, dass die Grünen – wenn man schon von Koalitionen sprechen möchte – ihre mit der CDU bestehende Zusammenarbeit nach der Wahl nicht mehr fortsetzen würden.
Ein Blick auf die Kommunalwahlergebnisse: Die CDU gewann 23 von 24 Wahlkreisen direkt, was ihr 23 Sitze im Rat bescherte. Die restlichen 25 Ratsmandate (der Pulheimer Rat besteht eigentlich aus 48 Mitgliedern) wären auf die übrigen Fraktionen entfallen. Da diese nach dem Kommunalwahlrecht jedoch Ausgleichsmandate erhielten, wuchs der aktuelle Rat auf 64 Sitze an. Die Ausgleichsmandate resultieren aber gerade nicht daraus, dass die Kandidatinnen und Kandidaten der anderen Parteien von der Bürgerschaft direkt gewählt worden wären, sondern nur daraus, dass die vielen Direktmandate der CDU ausgeglichen werden mussten. So viel zum offensichtlichen Missverständnis der Grünen, sie hätten ihre Ratsmandate allein aus eigener Kraft erzielt.
Aber noch in einem weiteren Punkt offenbart Herr Keßler ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie – Zitat: „Auch das ist schlecht für die demokratischen Prozesse! Denn der HFA hat 21 Sitze und der Bürgermeister ist stimmberechtigt. Das ist ein Problem …“. Damit spielt er auf die von der Gemeindeordnung eingeräumte Möglichkeit an, bei einer pandemischen Lage die Befugnisse des Rates auf den Haupt- und Finanzausschuss (HFA) zu übertragen, damit nicht der große Rat, sondern der kleinere Ausschuss wichtige Entscheidungen treffen kann. Aber nicht nur in einer pandemischen Lage, sondern immer hat der Bürgermeister im Rat und im HFA Stimmrecht. Das ist also kein „Problem“, sondern ein gesetzlich verankertes Recht eines jeden Bürgermeisters, der – auch daran muss man Herrn Keßler wohl erinnern – ebenso wie die Ratsmitglieder in direkter Wahl von der Bürgerschaft gewählt wird. Wieso die Stimme eines Bürgermeisters weniger wert sein sollte als die Stimme eines Ratsmitgliedes, bleibt Herrn Keßlers Geheimnis. Besonders widersprüchlich: Zu Beginn der Ratsperiode haben die Grünen die Einrichtung und Zusammensetzung des HFA in der aktuellen Form mitgetragen. Es erschließt sich nicht, wieso dieses Gremium die Kräfteverhältnisse des Rates nun nicht mehr ordnungsgemäß widerspiegeln soll.
Fazit: Entgegen der Behauptung von Herrn Keßler sind in Pulheim „die demokratischen Prozesse“ keineswegs „gestört“, sondern geradezu der Ausfluss von im Wahl- und Gemeinderecht gesetzlich verbrieften Rechten. Aber Herr Keßler scheint ohnehin mit zweierlei Maß zu messen. So betonen die Grünen auf der einen Seite, dass sie keine festen Verbindungen mehr eingegangen seien, sondern sich „themenorientiert Mehrheiten“ suchten. Das ist ihr gutes demokratisches Recht. Aber genau dieses Recht spricht Herr Keßler der Fraktion „Wir für Pulheim“ ab, wenn er kritisiert, dass diese bei einigen Anträgen mit Grünen, SPD, BVP und Linke stimme, sich bei anderen Anträgen aber auf die „konservative Seite“ schlage. Offenbar geht die WfP keine festen Verbindungen ein, sondern sucht sich „themenorientiert Mehrheiten“ – das müsste Herrn Keßler doch bekannt vorkommen!